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Reformationsfeier des Evangelisch-reformierten Forums St. Gallen
vom Sonntag, 2. November 2003 in der Kirche St. Laurenzen

Reform im individuellen Leben

Beitrag von Pfr. Hansruedi Felix

Liebe Anwesende

Der Mensch ist ein Wesen, das nicht über seinen Instinkt lebt in einer Art Unbewusstheit. Er vermag sich selber als Gegenüber zu erkennen, kann über sich nachdenken, kann für sich sorgen, kann dazu lernen, vermag sich zu verändern, sich zu reformieren.

Dazu muss er zuerst Bewusstheit erlangen. Ein Säugling steht sich noch nicht gegenüber. Er wächst einfach auf, schreit nach Milch, schläft. Später beginnt er mit dem Spielen, erforscht die Welt, ergreift sie sich. Erfährt dann schmerzlich, dass seine Eltern ihm als etwas anderes gegenüberstehen, wird aus dem Paradies der wohligen Einheit vertrieben. Er isst so vom Baum der Erkenntnis, lernt in gut und bös zu unterscheiden, in Handlungen die ihm Lust oder aber Unlust bringen. Er lernt mit andern Menschen umzugehen, erlernt ein Sozialverhalten, wertet sein eigenes Tun und das von Andern. Und so schält sich mehr und mehr seine Unterscheidungsgabe heraus und sein gutes starkes Ich, das die Gegensätze in sich verbindet und das innere Orchester dirigiert, die unterschiedlichen Triebe, Wünsche und Absichten koordiniert.

Und irgendwann ist man 18 oder 20 und hat sein Leben voll im Griff, hat verstanden worum es geht und wie es geht, weiss wie die Welt zu verbessern wäre, ist gegen Globalisierung und für die Liebe, gegen Waffen und für den Frieden. Gott sei dank gibt es die Unruhe der Jugend, die von äusseren Reformen träumt, die uns Ältere daran erinnert, dass nicht alles gut ist, so wie es ist, und dass da und dort noch Veränderungen und Verbesserungen vielleicht möglich sind.

Als ich Jung war, versuchte ich die Welt zu verändern. Als ich älter wurde, versuchte ich meine Stadt zu verändern. Als ich noch älter wurde wollte ich meine Familie verändern. Und nun versuche ich mich selber zu verändern. Das ist das Schwierigste - so ein weiser Ausspruch.

Und dieses Verändern von sich selber, das ist die Chance des erwachsenen Menschen innerlich jung und lebendig zu bleiben. Dabei kommen viele Anstösse zur Veränderung von aussen durch Schicksalsschläge und Umgestaltungen im Umfeld. Eine junge Familie zum Beispiel empfängt ihr erstes Kind: Viele Veränderungen sind da nötig. Oder wir müssen Abschied nehmen von einem lieben Menschen: Unsere ganze Lebenseinstellung gerät ins Wanken. Vieles was uns klar war gerät ins Wanken und wir pochen an die unendlichen Räume um uns, wir stellen Fragen auf die wir keine Antwort finden.

Andere Anstösse kommen von innen, haben mit eigenen Sehnsüchten, mit Lernprozessen zu tun und auch mit dem Spieltrieb in uns, das Leben zu erforschen und unsere Lebensmöglichkeiten zu erproben. Das Leben drängt uns, Neues zu wagen. Der Eine spürt, dass ihn seine Tätigkeit, seine Arbeit nicht mehr befriedigt und er fängt an zu überlegen, welche Umschulung er machen soll. Die andere nimmt wahr, dass sie die Familie nicht mehr so ausfüllt, jetzt wo die Kinder bald erwachsen sind und sie schaut sich nach neuen Herausforderungen um.

Immer sind solche Prozesse mit Krisen verbunden und mit der Frage, was soll ich tun, was soll ich verändern, was ist angesagt: Gott gib mir die Kraft zu verändern, was ich verändern kann. Gott gib mir die Kraft hinzunehmen, was ich nicht verändern kann. Gott gib mir die Weisheit, das Eine vom Andern zu unterscheiden , so sagt es ein altes Pilgergebet. Also, reformieren, was ich reformieren kann, und belassen, was ich nicht reformieren kann!

Vielfach ist der Baum als Symbol genutzt für das Wachstum von uns Menschen: Wie der Baum nicht nur im Bereich über der Erde wachsen kann und jedes Jahr wieder einen Jahrring zulegt, neue Äste treibt und neue Blätter entfaltet, sondern auch unter der Erde seine Wurzeln im selben Umfang in die Tiefe und Weite stösst, um sich Wasser und Nahrung zu sichern, so auch der Mensch. Er wächst in seinen äusseren Möglichkeiten und wenn er gesund ist, wächst er auch in seine Tiefe hinein, nimmt seine Träume wahr, seine Grundimpulse und nährt sich so, bleibt lebendig.

Für dem Weg des Menschen wird oft aber auch ein anderes Symbol genutzt: Das des Labyrinths, wie es sich z.B. in Chartre findet oder im Chor der Offenen Kirche. Uns Weg geht nicht nur immer weiter voran. Er führt uns oft scheinbar in die Irre, wir verlieren das Ziel aus den Augen, müssen umkehren, in die selbe Richtung wieder zurückgehen. Wir fühlen uns dem Eigentlichen und dem Leben manchmal näher, manchmal weiter entfernt. Und so gehen wir unsere Wege und scheinbaren Irrwege. Und alle Erfahrungen die wir machen, Erfahrungen von Gelingen und von Scheitern, Erfahrungen von Gewinnen und von Verlieren, sie alle machen uns mehr und mehr zu den Menschen, die wir sind: Werde der, der du bist . Es ist als würde das Leben von aussen und von innen her unser eigentliches Menschsein aus uns herauszuschälen, unseren Charakter, unsere Fähigkeiten, unsere Begabungen.

Und erst wenn wir uns längere Zeit im Labyrinth unseres Lebens bewegen, fangen wir an zu begreifen, dass es nicht darum geht am Ziel zu sein, sondern darum in Geduld einen Fuss vor den andern zu setzen und unseren Weg zu gehen.

Ein Begriff ist in letzter Zeit Mode geworden, der mir sehr gefällt: Fehlerfreundlichkeit. Dieses Wort kann uns vom Anspruch befreien immer alles gut und richtig zu machen ( Wer nichts tut, macht nichts falsch ). Er kann uns bewahren von unserem inneren Anspruch auf Erfolg und Gelingen: Wir dürfen Fehler machen, wir dürfen dazulernen müssen, wir dürfen nachher klüger sein als vorher. Das gehört zum Leben, das gehört zur Erfahrung im Labyrinth. Wir sagen ja zu Fehlern und lernen an ihnen!

Dazu kommt, dass oft Entscheidungen, die wir früher trafen, für die damalige Zeit zwar richtig waren, nun aber plötzlich nicht mehr stimmen. Dass wir früher Verhaltensmuster einübten, die hilfreich waren, nun aber nicht mehr tragen. Wir müssen umkehren, uns verändern, ein neues Verhalten einüben, neue Entscheidungen treffen. Wie das Volk Israel in der Wüste müssen wir unsere Zelte wieder abbrechen und weiterziehen um neue Weiden zu suchen. Oft ein schmerzhafter Prozess!

Manchmal aber geht es uns wie dem Volk Israel vor Jericho: Auch da ist kein Umkehren mehr möglich, kein zurück und vor uns nur riesige, unüberwindbare Mauern. Das Neue will sich uns nicht öffnen, aber es ist bereits da, eine Idee ist vorhanden. Und wir stellen es uns vor, wir visualisieren es uns, wir träumen von Milch und Honig. Und noch etwas anderes machen wir: Wir umkreisen das Neue immer wieder; in unseren Gedanken, in unseren Träumen. Immer wieder gehen wir darum herum. Und ist dann die Zeit irgendeinmal reif so schenkt sich uns das Neue. Die Mauern Jerichos fallen und wir gelangen endlich in unsere neue Stadt.

Ich denke, in dieser fast organischen, nicht linearen Art vollziehen sich Reformen in unserem Leben. Wichtig ist, dass wir uns dabei dem Lebensstrom angleichen, dass wir im Fluss bleiben, dass wir immer wieder zu erspüren versuchen, was jetzt dran ist. Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe. Reformen im individuellen Leben lassen sich nicht erzwingen. Sie lassen sich nicht ausdenken und dann durchführen. Wir müssen auf den Kairos achten, auf das was angesagt ist, um dann entsprechende Schritte zu tun. Insofern sind solche Reformen keine freiwillige Sache, sondern der Auftrag des Lebens an uns. Und unsere Haltung dem Leben gegenüber ist die von Niklaus von der Flüen: Gott oder Leben, nimm alles von mir, was mich hindert zu leben. Gib alles mir, was mich führt zum Leben. Nimm mich mir und meinen Ängsten und gib mich ganz zu eigen dem Strom meines Lebens.

Hansruedi Felix, Pfarrer zu St.Laurenzen